Sarrazins Buch

Von Thomas Bez am 17.10.2010

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Ich habe Sarrazins Buch gekauft. Unerwartet habe ich es sogar in der Frankfurter Bahnhofsbuchhandlung bekommen.

Ich habe es nun auch gelesen. Es ist mühselig, weil die Kernaussagen schnell zu überblicken sind, über Längen wiederholt und variiert werden und mit Unmengen von Zahlen und Statistiken untermauert werden. Die dreißigste Tabelle mit statistischen Daten schaut man sich schon weniger genau an.

Manchmal nervt Sarrazin auch sehr, denn er ist eigentlich ein Schulmeister, seine Moral ist schulmeisterlich und gar seine Rede. Aber er hat halt recht mit dem, was er sagt, ebenso wie die von ihm viel zitierte Necla Kelek oder der Neuköllner Bürgermeister. Längere Aufenthalte in Städten wie Berlin, Frankfurt, München, Köln, Hamburg belehren jeden, der sehen will, über die Wahrhaftigkeit seiner Analysen. Schon ein paar S-Bahn-Fahrten durchs abendliche Berlin oder Frankfurt sind eine wertvolle Lektion.


Es geht los. Sarrazin schreibt nach einer etwas verworrenen aber glücklicherweise kurzen Einführung in die Historie des Abendlandes über:

  • die Abhängigkeit des deutschen Wohlstands von Verstand und Bildung, in Ermangelung anderer Ressourcen,
  • die Bildungsferne der deutschen Unterschicht, überproportional aus Migranten bestehend, und ihre Nichteignung, zum Wohlstand des Landes beizutragen,
  • die seiner Meinung nach falsche Lebensweise der Unterschicht (im allgemeinen) und ihre übermäßige Finanzierung durch das Sozialsystem,
  • die Fehler der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die für die Unterschicht (im allgemeinen) produktive Arbeit unattraktiv machen,
  • die Fehler der Bildungspolitik (sein Lieblingsthema), die denen, welche nicht schon Bildung mitbringen, also der Unterschicht (im allgemeinen) auch keine vermitteln kann,
  • die Fehler der Integrations- und Zuwanderungspolitik, die die Bildung der islamitischen Parallelgesellschaften geradezu erzwingen und die Mehrheit dieser Leute in der Unterschicht landen lassen.

In diesem letztgenannten Teil geht es auch um Kultur und Aufklärung, worin sich christlich-abendländische und islamitische Kultur grundsätzlich unterscheiden, warum Islam und Islamismus voneinander nicht zu unterscheiden sind und warum man als anständiger (westlicher) Mensch sogar Fundamentalist der bürgerlichen Freiheit und der Aufklärung sein müsse.

Alles klug, richtig, mit Zahlen und Zitaten untermauert, schließlich sogar emotional und im ganzen, wie schon gesagt, etwas schulmeisterlich.


Wir sind auf Seite 349 angelangt.

Da kommt es – neun Seiten über Darwin, Mendelsche Gesetze, warum Minderbegabte mit höherer Wahrscheinlichkeit Minderbegabte vorbringen als die anderen, welche man lieber zum Nachbarn hat, und warum Populationen, in denen Paarungen im Familienclan häufiger vorkommen, zu Problemen mit dem Genpool neigen.

Es folgt noch ein Ausblick aus schulmeisterlich-pessimistischer und einer aus schulmeisterlich-optimistischer Perspektive sowie ein außerordentlich wissenschaftlicher Anmerkungsapparat.


Das war alles? Bis Seite 349 jedenfalls Dinge, die ich mir von meiner Regierung zur Kenntnis genommen wünschte.

Das Unterkapitel über die Genetik und die überbordende Fruchtbarkeit der Dümmsten (wundervoll ätzend!), so nebensächlich es für die Aussage des Buches ist, ist vielleicht sein großer Vorzug. Neun Seiten, auf deren Lektüre in einer zusammenfassenden Vorabpublikation sich die Kanzlerin, die ich (ich bekenne es) zweimal gewählt habe, offenbar beschränken kann. Dazu noch ein paar hübsche Sottisen im Stile der "Kopftuchmädchen". Fein, daß es dadurch jetzt alle Aufmerksamkeit hat. In diesem Herbst kann schließlich keine innenpolitische Debatte außerhalb des Kontextes dieses Buches geführt werden.

Sarrazin ist der Typ des Privatgelehrten, ein ganz Bürgerlicher, Vornehmer, der wahrlich nicht in die SPD paßt. Der das Morgenland lieber auf Urlaubsreisen besichtigt als um die Ecke und eher zwischen seinesgleichen und dem Pöbel unterscheidet als Rassist, Chauvinist oder Sozialist zu sein oder was auch immer. Eine seiner Kernthesen ist aber schon wieder sehr sozialistisch: Entwindet die besonders benachteiligten Kinder frühzeitig ihren Eltern und Sippen und versucht ihnen in Kindergärten und Ganztagsschulen eine Chance zu geben.

Wäre ja schön, wenn das Buch auch etwas nützte. Wird es aber sicher nicht. Ich bin empört, wie sich unser Land im Umgang mit diesem Buch blamiert hat.

Und Gauck kann froh sein, daß er nicht Präsident geworden ist.