Eine Reise in die Emilia-Romagna |
Von Thomas Bez am 24.09.2024, aktualisiert am 18.12.2024
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Wir begannen unsere Reise in die Emilia-Romagna im Mai 2024 mit einem 40 Jahre alten Reiseführer: dem DuMont Kunstreiseführer: Werner Goez, Emilia-Romagna. Ganz neue Reiseführer mögen wir nicht: sie sind eher dünn, bunt und oberflächlich, konzentrieren sich zu sehr aufs Fressen und Shoppen. Wir bevorzugen die DuMont-Kunstreiseführer, seitdem wir in den 1990er Jahren richtig mit Reisen begonnen haben. Sie werden heute zwar nicht mehr verlegt, sind aber im antiquarischen Buchhandel zu bekommen und teilweise recht billig. Unser Buch, entstanden in den 1980er Jahren, mit 400 Seiten über die Emilia-Romagna stellte sich als ausreichend aktuell heraus. Vieles hat sich in den vierzig Jahren seitdem natürlich konservatorisch weiterentwickelt und wurde touristisch intensiver erschlossen, aber das wichtigste an diesen Büchern ist ihre Konstante, die davon unberührt bleibt, nämlich die geschichtliche und kulturgeschichtliche Einordnung dessen, was man sieht. Wo solch ein Reiseführer aus der Zeit fällt, wird er besonders sympathisch, zum Beispiel bei Hinweisen wie: um diese Kapelle zu besichtigen oder jenen Turm zu besteigen, möge man den Kastellan nach dem Schlüssel fragen. Die Zeit der Kastellane ist definitiv vorbei, und an den wohldefinierten touristischen Geschäftsprozessen vorbei einen Sonderzugang zu begehren, ist sehr vorgestrig.
Es war dies eine Reise in die Geschichte unseres europäischen Mittelalters, in die Gegend, die dessen erster und wichtigster Brennpunkt ist. Entwicklungen nahmen in dieser Region ihren Anfang, denen wir auf einer weiteren Reise 2024 nachgingen, als wir in Ostpreußen den Spuren des Deutschen Ordens folgten, und schließlich einer dritten Reise im selben Jahr in das Herzogtum Burgund, dem zweiten überragenden Zentrum mittelalterlicher Kultur mit seiner architektonischen Schönheit. Über beides wird an anderer Stelle noch berichtet werden.
In unserer Kindheit waren wir fasziniert von einem Band deutscher Heldensagen, einer ganz unideologischen Sammlung aus dem ostdeutschen "Kinderbuchverlag" von 1958. Von Dietrich von Bern ist dort die Rede, von Etzel (Attila), Gunther und vielen anderen Gestalten, denen man in Oberitalien (der Lombardei, in den Sagen "Lampartenland" genannt) und Burgund begegnen kann. Bis nach Montabaur (Mons Tabor) in Palästina, also in die Kreuzzüge, führen die Sagen, und zu den Kreuzzügen wird es auf unserer Reise auch einiges zu erwähnen geben. 800 Jahre Geschichte verknoten sich in diesen Sagen in einen Anschein der Gleichzeitigkeit, oder die Protagonisten müßten alle biblisches Alter erreicht haben.
Die Emilia und die Romagna sind Keimzellen des Abendlandes. Das Heilige Römische Reich fand zur Hälfte in Italien statt, auch wenn es sich dort jenseits der Alpen nicht halten konnte. "Bern" ist nicht das Bern in der Schweiz, sondern Verona, und Dietrich ist der Ostgotenkönig Theoderich, und seine Grabstätte gibt es noch immer in Ravenna (in den Sagen "Raben" genannt). Der mythische Dietrich hat nicht viel gemein mit Theoderich, aber er führt uns zurück in die frühen Sedimente unserer Kultur.
Sonnabend 11. Mai 2024
Nach Übernachtung in Südtirol, gleich hinter der Grenze, hielten wir für drei Stunden in Verona.
Es lohnt sich, einen Platz in einem Parkhaus zwischen Stadtmauer und Flußbiegung der Etsch (Adige) zu reservieren. Von da aus ist das Zentrum gut zu Fuß zu erreichen.
Als Literatur empfehlen wir für das erweiterte Oberitalien den DuMont Kunstreiseführer: Fritz Baumgart, Oberitalien.
Verona N 45.443509 E 10.998162, eine vorrömische Gründung, ist unter anderem bekannt für Romeo und Julia und deren fiktive, sich bekriegende Familien sowie den halbfiktiven Dietrich von Bern. Theoderich hatte Verona als Zweitwohnsitz neben Ravenna gewählt, wovon es aber keine baulichen Zeugnisse mehr gibt. Das Einzige, was von Theodrich noch zu sehen ist, ist sein Mausoleum in Ravenna.
Infolge des Friedens von Konstanz wurde Verona zu Beginn des 12. Jahrhunderts freie Stadt und gründete gemeinsam mit Padua und ViNcenza eine Liga gegen Kaiser Friedrich I "Barbarossa". Anfang des 13. Jahrhunderts bereits geriet die Stadt unter der Herrschaft wechselnder Tyrannen, die wie die Scaliger (die Dante Asyl gewährten) durchaus auch kunstsinnige Mäzene sein konnten, schließlich auch der mailänder Visconti, und unterwarf sich Anfang des 15. Jahrhunderts freiwillig Venedig, unter dessen Herrschaft und Schutz es bis Ende des 18. Jahrhunderts verblieb.
Wir werden auf dieser Reise noch etliche Städte sehen, die nach Abwurf der in dieser Region stets fragilen Herrschaft der Kaiser von jenseits der Alpen ein kurze Blütezeit der bürgerlichen Freiheit erlebten, um nur hundert oder 150 Jahre später von lokalen Herrscherdynastien drangsaliert zu werden, eine scheußlicher als die andere, die sich zudem immerfort Stadt gegen Stadt bekriegten. Das 13te und 14te Jahrhundert des Spätmittelalters muß politisch für Norditalien eine üble Zeit gewesen sein.
Es war ein Glück für das Volk, wo der Vatikan Ende des 13. Jahrhunderts seine Macht auf den Gebieten sichern konnte, die ihm eigentlich schon seit dem 8. Jahrhundert zugeeignet waren und wo sich für einige Jahrhunderte eine bleierne aber friedliche Schwere der relativen Ereignislosigkeit über die östlichen Teile der Emilia (die Gebiete um Ferrara und Bologna) legte.
Im Original bekamen wir in Oberitalien gar nicht so viel zu sehen, wie wir erwartet hatten. Die meisten historischen Stätten des Hochmittelalters (11. bis 13. Jahrhundert) sind nicht mehr zu finden, sondern nur noch deren Nachfolgebauwerke. Auch aus dem Spätmittelalter (13. bis 15. Jahrhundert) ist vieles durch Erdbeben schwer beschädigt wie der Dom von Ferrara, in Städtekriegen zerstört und verbrannt, umgebaut und überbaut, zur Gewinnung von Baumaterial geschleift, mutwillig niedergerissen wie der Dom von Ravenna, um stattdessen etwas Repräsentativeres zu bauen, oder schließlich im 19. Jahrhundert kaputtrestauriert. Viele dieser Kirchen kann man sich wirklich sparen, manches ist ausgesprochen deprimierend.
Und einiges ist den in ganz Italien häufigen Erdbeben zum Opfer gefallen oder beschädigt worden wie die Arena von Verona aus dem ersten Jahrhundert, die einst 25.000 Leute faßte. Ihr äußerer Mauerring stürzte bei einem Erdbeben im 12. Jahrhundert fast komplett ein, ein kleiner Teil ragt wie ein letzter erhaltener Zahn noch heute auf. Die Arena wird immernoch benutzt mit bis zu 20.000 Zuschauern.
Wir waren nur auf der Durchfahrt, schlenderten einmal über die hübsche Piazza delle Erbe, auf der Trubel herrschte, und natürlich die Piazza dei Signori, die schöne Piazza mit dem Palast der scheußlichen Signori, die fast jede dieser oberitalienischen Städte hat.
Die Pfarrkirche Santa Maria Antica und die hoch- bis spätgotischen Gräber der Scaliger, die sich diesen Pfarrhof zur Familiengruft umbauten, sollte man sich ansehen.
Nach dem zweiten Punischen Krieg, der 200 vor Christus endete, hatte sich das Römische Reich bis auf die Iberische Halbinsel ausgedehnt, es fehlte aber die wichtige Landverbindung zur Absicherung dieses Landerwerbs. Dazu kam der Drang zur weiteren Expansion nach Norden. Rom dachte und handelte strategisch. 187 vor Christus begann der Bau der Via Aemilia, über die die Heere für die künftigen Unternehmungen ziehen würden. 118 vor Christus gründete Rom eine Kolonie um das heutige Narbonne, 58 vor Christus begann der Gallische Krieg unter Julius Caesar, der 52 vor Christus mit dem Sieg über die Gallier unter Vercingetorix bei Alesia im heutigen Burgund endete.
Die Via Aemilia beginnt in Rimini an der Adria, einer alten römischen Stadt, die mit einer Heerstraße an Rom angeschlossen war und die vermutlich auch damals schon als Seebad diente (damals der Oberschicht, nicht den Plebejern). Die Straße zieht sich zwischen Po und den Apenninen auf dem größten Teil ihrer 300 Kilometer langen Strecke fast schnurgerade bis nach Piacenza, wo sie in nachfolgende Straßenbauprojekte übergeht, die weiter in Richtung Nord (Germanien) und Nordwest (Gallien) führten. Ihr Bau erschloß gleichzeitig eine ganze neue Provinz.
Die Städte, die an der Via Aemilia wie auf einer Perlenschnur aneinandergereiht sind (Forlì, Imola, Bologna, Modena, Reggio, Parma, Piacenza und viele kleinere) sind größtenteils im Zusammenhang mit dem Straßenbau aus Wartungsstationen für die Straße und aus lokalen Marktplätzen entstanden. Wir haben dank unseres DuMont-Reiseführers gelernt, das Alter einer Stadt, ob sie aus römischer oder aus vorrömischer Zeit gründet, am Straßenmuster des Stadtkerns und der Lage ihrer Hauptkirchen abzulesen.
Die Via Aemilia liegt am Rande des Überschwemmungsgebiets des Po und unmittelbar am Fuße des Apennin. Unser Plan war, die wichtigen Städte von Piacenza bis Rimini zu sehen, die sich entlang der Via Aemilia verteilen, außerdem Ferrara und Ravenna, einen Abstecher in die Toskana nach Florenz zu machen, den Charakter und die Weite der Po-Ebene zu erfassen und historische Stätten im Apenninen-Vorgebirge zu besuchen. Wir wollten in der Hauptsaison nicht ständig umziehen oder gar von Tag zu Tag ohne Vorplanung eine Unterkunft suchen, sondern lieber unsere Abstecher und Rundfahrten von einem zentralen Ort bei Modena oder Bologna aus zu machen. Während unserer zweiwöchigen Reise sind wir daher 3.000 Kilometer gefahren, nicht gerechnet die An-und Abreise.
Die Via Aemilia ist noch heute auf ihrer ganzen Länge befahrbar, sie durchquert als Lokalstraße einen Ort nach dem anderen mitten im Ortszentrum. Wir haben solch eine Fahrt auf der originalen Straße ein Zeitlang versucht, man kommt so aber nur im Schnitt mit 30 Kilometern pro Stunde voran und durchfährt einen Vorort nach dem anderen. Man muß also für die langen Strecken zu den einzelnen Städten die Autobahn nehmen, die parallel zur Via Aemilia verläuft. Man sollte darauf achten, daß man Ausfahrten benutzt, wo man die Maut bar bezahlen kann und nicht nur elektronisch mit einer Abonnementskarte.
Die Apenninen entwässern sich nach Norden zum Po und das Wasser hat sich im Lauf der Zeit tiefe Täler gegraben. Die quer zum Gebirgskamm in den Tälern verlaufenden Straßen sind schnell und führen zur Autobahn. Die Serpentinenwege längs des Gebirges springen von Tal zu Tal, sind wunderschön, aber anstrengend und eignen sich nur für regionale Rundfahrten zu den vielen sehenswerten Orten in dem Mittelgebirge und dem besonders schönen Vorgebirge.
Unser Haus hatten wir drei Monate zuvor gebucht, was schon ziemlich spät war. Ursprünglich wollten wir, um Fahrstrecke zu sparen, in der Ebene nördlich von Modena ein Quartier suchen, konnten aber nichts mehr finden, was uns gefiel. Wir fanden ein Haus auf halber Höhe des Apennin südlich von Bologna, und das war schließlich ein Glücksfall. Zwar kostete allein um die Autobahn bei Bologna zu erreichen eine halbe Stunde Fahrt auf Serpentinenstraßen, aber die Kulturlandschaft im Vorgebirge der Apenninen ist außerordentlich schön und für unser Empfinden deutlich attraktiver als die Ebene nördlich der Straße.
Der Mai ist die beste Zeit, in die Emilia zu reisen. Überall, auch in den Städten, liegt der Duft von Kräutern und Blumen in der Luft. Das Je-länger-je-lieber breitet sich überall mit seinem intensiven Geruch aus, sowohl wild als auch an vielen Stellen kultiviert in den Dörfern und Städten. Die Temperaturen liegen wenig über 20 Grad und zu unserer Überraschung wurden wir auch in der zweiten Maihälfte nicht von Mücken geplagt, nicht einmal in den Niederungen der Po-Ebene.
Anconella N 44.295999 E 11.321653 ist ein Dorf am Berghang mit vielleicht zwanzig Häusern, wie es sie überall in den Apenninen gibt. Es ist schmuck und inzwischen offensichtlich zu einem guten Teil von Städtern bewohnt.
Falls man davon sprechen kann, daß Anconella so etwas wie eine Piazza besitzt, ist es wohl das Stück Serpentinenstraße direkt vor dem Restaurant des Ortes, wo man sehr gut ißt und wo gemessen an der Größe des Ortes viel los ist. Am Wochenende ist es sinnvoll einen Tisch zu reservieren.
Diese Bergdörfer haben ihre eigene Ästhetik. Gerade die schmucklosen kubischen Häuser, in denen seit sehr langer Zeit einfach nur gelebt wird und an denen man jede Etappe von Bau und Erweiterung ablesen kann, haben es uns besonders angetan.
Das sehr komfortable Ferienhaus ist das einzige im Ort. Die Emilia-Romagna ist wohl eher etwas für Städtetourismus und ein derart abgelegenes Quartier nur etwas für Sonderlinge wie uns.
Außer für wenige regionale Rundfahrten führte der tägliche Weg zuerst am Frühstück vorbei für eine halbe Stunde nach Bologna.
Sonntag 12. Mai 2024
Wir beginnen unsere zweiwöchige Reise mit einer Rundfahrt in der Region unseres Quartiers über Imola und dann durch den Apennin bis ins Mugello-Tal. Es ist immerhin schon eine Fahrt von 250 Kilometern, wofür 5 Stunden reine Fahrzeit zu veranschlagen sind. Man kommt außer auf der Autobahn kaum auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit über 50 Kilometer pro Stunde.
Auf dem Weg nach Bologna haben wir gelegentlich in Livergnano N 44.325517 E 11.330861 gefrühstückt. Bemerkenswert ist der mitten im Ort steil aufragende Felsblock, in den einige der Häuser hineingebaut wurden, darunter eine ganze Straßenseite.
Ab Bologna fahren wir über Imola bis Castel Bolognese auf der alten Via Aemilia.
Imola N 44.353775 E 11.707649 wurde als Ruhesitz für Veteranen der Legion gegründet. Der Name des Ortes ist vor allem bekannt durch die dortige Formel-1-Rennstätte, wo 1994 Ayrton Senna verunglückte. Ein Denkmal für ihn gibt es dort wohl auch zu besichtigen, darum haben wir uns aber nicht gekümmert. Wir haben stattdessen die Rocca angesehen, die mitten im Ort gelegene Zwingburg der lokalen Herrscherfamilie aus dem 13. Jahrhundert. Ebensosehr wir der Verteidigung vor Gegnern, die, wie in der ganzen Region üblich gewesen, nur eine oder zwei Städte entfernt waren, galt sie dem Schutz vor dem eigenen Volk.
Der quadratische Grundriß läßt sie überaus wuchtig erscheinen, die vier runden Eckbastionen verstärken diesen Eindruck. Die Burg ist komplett erhalten, und man kann verschiedene Schritte des Umbaus an den Mauerfronten besichtigen. Auf fast alle Festungsbauten hatte die Einführung von Kanonen in die Militärtechnik starke Auswirkungen, da die Mauern erniedrigt und verstärkt werden mußten.
Der Staat scheint viel in die Sanierung von Festungsbauten der Region zu investieren oder hat dies zumindest einige Jahrzehnte lang getan, es wird aber allenthalben offensichtlich, daß die Kommunen mit der Erhaltung völlig überfordert sind. Touristisch werfen die Festungen keine Einnahmen ab, ein Museum alter Waffen reicht dafür nicht, und die Touristen konzentrieren sich ohnehin auf Zentren wie Bologna oder Piacenza.
Auf Faenza N 44.285696 E 11.883393, Herkunftsort von Feinkeramik (vom Namen der Stadt abgeleitet: "Fayencen"), haben wir verzichtet. Für ein Museum wollten wir unsere Zeit nicht nutzen.
In Castel Bolognese N 44.320287 E 11.797884 haben wir nur kurz gehalten. Das ist eine Plangründung Bolognas aus dem 14. Jahrhundert zur Erweiterung des Einflusses der Stadt. Die Einwohner waren Wehrbauern, die durch das Versprechen angelockt worden waren, dafür das Bürgerrecht zu erhalten. Dieses galt in den Kastellorten ohne Einschränkung, während in den offenen Dörfern persönliche Unfreiheit und ein ungünstigerer Rechtsstand herrschten (Goez S.334f).
Uns fielen hier zum ersten Mal die schön strukturierten Fassaden der Renaissancehäuser auf. Wo sie nicht restauriert wurden, wie zum Beispiel in vielen Straßenzügen Ferraras, sondern sich alle Torbogenbegradigungen, Vergrößerungen oder Vermauerungen von Fenstern, Überputzen von Schmuckelementen aus dem Verlauf der Jahrhunderte angesammelt haben, ist die ursprüngliche Ästhetik oft kaum noch zu erkennen, aber dennoch sieht ein Renaissancehaus immer aus wie ein Renaissancehaus.
Wir haben viel darüber nachgedacht, woran man nun genau die Profanarchitektur der Renaissance erkennt, kamen aber schließlich nicht weiter als: Nun, das sieht man eben.
In Castel Bolognese bogen wir südlich ab in die Berge. Die Via Aemilia wurde so geplant und angelegt, daß sie sich den Überschwemmungen durch Po eben gerade entzieht. Wir fanden es erstaunlich, wie die Straße trotzdem auf ihrer ganzen Länge so schnurgerade sein konnte. Wie man nördlich der Via Aemilia sofort in der Po-Ebene ist, bis zum Fluß platt wie ein Brett, fährt man nach Süden augenblicklich in eine hügelige, liebliche Landschaft, die im Vorgebirge, also bis auf halbe Höhe, durchweg Kulturlandschaft mit viel Wein- und Obstbau ist.
Der Apennin ist nicht besonders hoch und nicht steil, und so ist auch auf der Nordseite Weinbau auf flachen Feldern möglich. Die Weinstöcke werden so auf Gestelle gebunden, daß sie flächig in die Breite wachsen und das Licht optimal ausnutzen.
Fiume Lamone ist einer der zahllosen Flüsse, die sich ihre Täler in die Apenninhänge eingegraben haben. Er mäandert bis Faenza und fließt danach in sanfteren Biegungen, teils vermutlich auch im Sinne der Landwirtschaft der Ebene begradigt, weiter in den Po. Wie an jedem dieser Flüsse führt eine Straße den Fluß entlang in die Berge, und zwischen Straße und Fluß breitet sich der Ort Brisighella N 44.222991 E 11.771746 aus. Einige Sehenswürdigkeiten werden für den Ort genannt, wir stiegen aber nur zum Torre dell'Orologio hoch, einem Wachturm aus dem 13. Jahrhundert, der seine namensgebende Uhr aber erst mit einer Restaurierung im 19. Jahrhundert erhielt. Jenes Jahrhundert ist berüchtigt für seine Restaurierungen, wir kommen gelegentlich darauf zurück.
Umstellt ist Brisighella von drei Wehrtürmen auf je einer Bergkuppe, und der Blick hinunter auf die Stadt, den Fluß, die drei Burgen und den blauen Dunst der Ferne ist grandios. Wir haben uns viel länger aufgehalten als geplant.
Als sehenswerte Sehenswürdigkeit von Brisighella hatten wir uns die Kirche San Giovanni in Ottavo N 44.214487 E 11.752981 (verkürzt zu "del Tho") vorgenommen, die unser antiqierter Reiseführer preist wegen ihrer exquisiten Innenausstattung mit lombardischen Reliefs, zweckentfremdeten römischen Säulen aus rotem Marmor und vielem mehr. Nur leider war sie zu und sah auch nicht aus, als ob sie noch für Touristen geöffnet würde, denn es verirren sich kaum noch Touristen bis hierher.
Der Rückweg durch das Mugello-Tal bis Borgo San Lorenzo N 43.953958 E 11.388217, von wo man bis nach Florenz käme, und über Colle Barucci N 43.985466 E 11.273174 war zu lang und für weiteren Halt war zu wenig Zeit verblieben.
Montag 13. Mai 2024 und Dienstag 21. Mai 2024
Der Investiturstreit wurde zu Ende des 12. Jahrhunderts zwar mit dem Frieden von Konstanz formal beigelegt, grundsätzlich blieb die Machtfrage zwischen Kaiser und Papst aber ungeklärt und die Auseinandersetzungen dauerten an. Als Folge davon war die Emilia-Romagna politisch zersplittert und lokal in der Städten herrschten Autokratenfamilien, die Signorien, die der einen oder der anderen Seite loyal waren oder auch je nach Opportunität wechselnd illoyal. Es war die Zeit, da die zahlreichen Burgen und Festungen der Emilia entstanden.
Die Este dienten dem Vatikan und erhielten im 13. Jahrhundert Ferrara. Ende des 14. Jahrhunderts bauten sie das Castello Estense N 44.837651 E 11.619544, sie waren gebildet und kunstsinnig, und unter ihnen hatte Ferrara in der Renaissance des 15. und 16. Jahrhunderts seine Blütezeit. Ende des 16. Jahrhunderts starb jedoch die Hauptlinie der Este aus, der Vatikan nahm die Gelegenheit wahr, das Lehen einzuziehen, und es begann, was um diese Zeit vielerorts in der Emilia-Romagna begann und nach einer bleiernen Zeit klingt, wenn man den Schilderungen in der geschichtlichen Literatur glauben will. Aus Ferrara wanderte jedenfalls ein Drittel des Volkes oder mehr ab, und die Stadt wirkte dann über lange Zeit menschenleer. Ende des 18. Jahrhunderts wundert sich Goethe über die "große, schöne, entvölkerte Stadt" (Goez S.253).
Der Familie der Este blieb in einem Nebenzweig die Herrschaft von Gnaden des Vatikans über Modena und Reggio. Die Familie der Este ist weit verzweigt und hat durch Einheiraten in die Familie der Welfen bereits im 10. Jahrhundert die Zeiten überdauert, über das Haus Hannover sogar in irgendwie verdünnter Form bis heute. Ob die bleierne Zeit der Emilia, die bis zum Risorgimento des 19. Jahrhunderts anhielt, von allen als solche empfunden wurde, bezweifeln wir. Die permanenten wechselnden Kriege der Städte unter den Signorien kamen zu einem Ende und für das Volk kam womöglich eine etwas glücklichere Zeit, da man leben und überleben konnte.
Wir waren mit diesem Fazit zufrieden. Das Castello Estense umwanderten wir, der Bau ist intakt und für die touristische Verwendung gepflegt, aber wie die meisten Signorienburgen und -paläste weckte es bei uns nicht den Drang, hinein zu gehen. Es wäre drinnen auch nicht viel zu sehen, das Haus ist leer geräumt. Mit der Übernahme durch den Vatikan wurden alle Schätze weit verstreut.
Wir besuchten unseren Lieblingsfanatiker, der in Ferrara geboren war, aber in Florenz im späten 15. Jahrhundert seinen Wirkungsort hatte.
Beeindruckt nahmen wir die Wasserstände des Po in Ferrara im 18. bis 20. Jahrhundert zur Kenntnis. Wir fragen uns, ob wirklich jedes Hochwasser höher war als das vorige oder ob man niedrigere Hochwässer nicht mehr für notierenswert hielt.
Die Hauptkirchen von Städten, die bereits zu klassischer römischer Zeit existierten, liegen immer außerhalb des Stadtkerns. Der Grund ist, daß römisches Recht Begräbnisstätten innerhalb des Siedlungsbereiches verbot, und damit auch nach der begonnenen Christianisierung des römischen Reiches die christlichen Kirchen, die immer in räumlicher Verbindung mit den Begräbnisstätte der Gemeinde standen, außerhalb der Stadtmauern errichtet wurden. Gelegentlich verlegten aber Bischöfe in den kriegerischen Zeiten um die Jahrtausendwende ihre Sitze und damit Kathedralenneubauten in den Schutz der Stadtmauern.
Ferrara ist keine römische Gründung, dementsprechend fehlt das rechtwinklige Straßenmuster und die Kathedrale N 44.835842 E 11.619517 liegt in der Innenstadt. Sie wurde nach einem Erdbeben im 17. Jahrhundert völlig entkernt und als Barockkirche neu ausgebaut. Das ist wohl nicht als Akt des Mutwillens zu sehen, wie er andernorts auch vorgekommen ist, nämlich in Ravenna. Die Schäden im Innern hatten sich als irreparabel erwiesen. Wir waren vom Innern der Kirche ernüchtert.
Wieder waren es die Renaissancehäuser in der Vorstadt, also was zu damaligen Zeiten die Vorstadt war und wir heute zum "alten Stadtkern" zu zählen gewohnt sind, die uns an der ganzen Stadt am besten gefallen haben. Wir haben tatsächlich ein gestörtes Verhältnis zu normalen Sehenswürdigkeiten.
Man muß in Italien auf den Montag achten, der für alle Museen und Ausstellungen Schließtag ist.
Der Palazzo Schifanoia N 44.830468 E 11.629179 ("schifare la noia" - der Langeweile entrinnen) ist Gartenpalais und Lustschloß der Este aus dem 14. Jahrhundert. Wände und Decken müssen überreichlich dekoriert gewesen sein, was man heute sieht, ist nur ein Teil der einstigen Farbigkeit. Auch wo heute weiße Wände dominieren, war alles ausgemalt.
Der Salone dei Mesi (Saal der Monate) im Obergeschoß wird zu recht empfohlen, aber auch dort ist nur ein Teil der Ausmalung erhalten. Von der Hälfte der Monate ist nichts mehr zu erkennen.
Das Archäologische Museum N 44.827393 E 11.627274 hat eine große Sammlung aus der Etruskerstadt Spina, es lohnt sich, weil es gut erläutert ist.
Villanova-, Etrusker- und Römerzeit durchdringen sich in der Emilia. Es gibt noch weitere Museen, die wir aber nicht gesehen haben:
Man sollte durch die Innenstadt von Ferrara gehen mit ihren engen Gassen und Durchgängen.
Montag 13. Mai 2024
Die Po-Ebene ist vollständig von landwirtschaftlichen Flächen bedeckt. Sie ist durchzogen von einer Unzahl kleiner Entwässerungsgräben, vor allem natürlich im Flußdelta. Die Felder sind kleiner als wir das in Deutschland, insbesondere Ostdeutschland kennen. Es scheint sich durchweg um Familienbetriebe zu handeln, von Konzentration in Agrarkonzernen erkennen wir nichts. Verglichen damit wirkt die deutsche Landwirtschaft brutal. Wir waren im Mai hier, wo sich nicht viel ereignet, aber entsprechend der Parzellengröße kann großes landwirtschaftliches Gerät hier kaum eingesetzt werden. Die Hofstellen liegen verstreut in der Fläche. Aufgefallen ist uns, daß Fahrzeughallen auch für mittelgroßes Gerät meist nicht dazugehören, die vorhandenen Scheunen scheinen uns jedenfalls nicht dafür geeignet. Vermutlich wird hier vieles der Gerätschaften gemietet.
Ein romantisches Gefühl, wie es von Filmen über diese Gegend vermittelt wird, stellt sich aber nicht ein. Vielleicht ist die Zeit für Romantik nun endgültig vorbei. Fährt man durch die Ebene, ist sie beschaulich und man hat sie schnell verstanden. Fährt man weiter, wird sie langweilig, was wir so nicht erwartet hatten, und wir sind froh, daß wir uns für unsere Reise für die Berge entschieden haben.
Man sieht auch viel Obstbau (Goez S.275), der an einigen Stellen aber anscheinend gerade aufgegeben wird.
Bleibt der Po dort, wo er hingehört, ist er ein träger dunkler Strom, so wie man ihn sich vorstellt. Nicht erwartet hatten wir, selbst im Flußdelta keinerlei Mücken zu begegnen. Wir lasen, daß durch Renaturierungen die Plage wieder zunimmt.
Jeder Ort hat seine Straße, die nach Antonio Gramsci heißt, es ist die ur-sozialistische und folglich epochenweise faschistische Gegend des Don Camillo. In den kleinen Orten herrscht oft Trostlosigkeit.
Wir passierten den Ort Comacchio N 44.692835 E 12.184836, an einer riesigen Lagune gelegen, wo Aale gefangen werden. Unser antiquierter Reiseführer versprach uns, daß diese Aale in Comacchio gehandelt werden. Davon konnten wir uns nicht überzeugen, die gemütlichen Zeiten sind auch hier vorbei.
Die Abtei Santa Maria di Pomposa N 44.831887 E 12.175703 gilt als die Hauptsehenswürdigkeit der Provinz Ferrara. Sie breitet sich in einem gepflegten Park aus. Das Innere haben wir nicht angesehen.
Dienstag 14. Mai 2024
In der Stadt Forlì machten wir auf unserem Weg an die Adriaküste zur Rundfahrt durch die Romagna nicht halt, es soll dort nichts Wichtiges zu sehen geben.
Im heutigen Savignano N 44.092598 E 12.395979 überschritt Julius Caesar von Ferrara kommend im Jahr 49 vor Christus sprichwörtlich den Rubikon (Goez S.357) und löste den Bürgerkrieg aus, den er zwar nicht überlebte, mit dem er die Republik aber endgültig beendete. Es ist allerdings nicht einmal sicher, daß der heutige Fluß Rubicone der klassische Rubikon ist. Mehrere Orte in der Umgebung behaupten für ihre Flüsse diese Ehre für sich. Wikipedia führt aus, daß es 1933 dem Bürgermeister von Savignano gelang, den Duce Mussolini von seinem Fluß zu überzeugen. Jedenfalls überquerten wir den Fluß, der heute Rubikon heißt, auch nicht exakt dort, sondern auf der Autobahn zwei Kilometer weiter nördlich.
Rimini ist eine etruskische Stadt und wurde im dritten Jahrhundert vor Christus durch Rom kolonisiert. Geringe Reste der Arena sind noch erhalten und wurden mit viel Beton konserviert.
Um 200 vor Christus war Rimini bereits über die Via Flaminia an die Stadt Rom angebunden. Die Via Aemilia verlängerte diese Straße dann nach Nordwesten, um einerseits den Anfang einer Landbrücke zur im zweiten Punischen Krieg gegen Karthago eingenommenen iberischen Halbinsel zu bilden und andererseits Feldzüge ins nördliche Germanien und Gallien vorzubereiten.
Der Ponte di Tiberio N 44.063629 E 12.563767 und der Arco di Augusto N 44.056891 E 12.57117 sind aus dieser Bauzeit noch erhalten. Der Torbogen ist buchstäblich der Anfang der Via Aemilia.
Die Brücke ist die erste Flußquerung der Via Aemilia, und zwar über die Marecchia. Was zu damaliger Zeit in Rimini die Marecchia war, ist heute allerdings nur noch ein Stichkanal zur Adria, denn die Flußmündung wurde irgendwann einen Kilometer nach Westen verlegt. Es irritiert, daß der recht breite Fluß hundert Meter neben der Brücke abrupt endet.
Im Jahr 1226 stellte im Palazzo dell'Arengo N 44.060746 E 12.565484 Friedrich II dem aus Palästina vertriebenen Deutschen Ritterorden in der "Goldenen Bulle" Ost- und Westpreußen zur Missionierung zur Verfügung. Der Masurenherzog hatte die deutschen Ritter gerufen, damit sie ihm die ungebärdigen heidnischen Preußen vom Leibe halten mochten, was sie von 1230 bis zu ihrer endgültigen Entmachtung im zweiten Frieden von Thorn 1466, also 230 Jahre lang, überaus erfolgreich taten, indem sie aus den Preußen gute Katholiken machten.
Alles, was Rang und Namen im Reich hatte, war hier zur Unterzeichnung versammelt. Rimini war unter den Stauferkaisern im 12. und 13. Jahrhundert reichsunmittelbar und dadurch ein geeigneter Versammlungsort.
Am Anfangsort der Via Aemilia wurde also das Ende der Kreuzzüge besiegelt, während am Ende der Straße in Piacenza Papst Urban II 1095 zum ersten Kreuzzug aufrief, aber vielleicht finden nur wir solche Nebensächlichkeiten kurios.
Ende des 13. Jahrhunderts ging der reichsunmittelbare Status verloren und die Familie Malatesta übernahm für mehr als 200 Jahre die Macht. Die Familie war so bösartig wie der Name schon sagt, Dante schrieb über sie (Goez S.363). Von den Bauzeugnissen der Malatesta in der Stadt lohnt nichts anzusehen.
Abgesehen vom Erwähnten und dem innersten Stadtzentrum ist Rimini etwa so, wie man es sich vorstellt: öder Wohlstand.
Die Adria war auch so, wie wir sie uns vorstellten, sogar noch etwas schlimmer. Erst hatten wir gedacht, wir könnten Lust verspüren, dort zu baden. Es war ja auch erst Vorsaison, der Betrieb geht erst im Juni los, und im Mai wird der Sandstrand noch mit schwerem Gerät planiert und die Plattenwege werden neu geweißt. Als wir die Kohorten der Schirmständer am Strand sahen, die uns an einen Soldatenfriedhof erinnerten, prüften wir nur kurz die Wassertemperatur und traten den Rückweg an.
Dienstag 14. Mai 2024
Südlich von Rimini erreichen wir Gradara N 43.941166 E 12.77313. Ausgehend vom Castello di Gradara umschließt eine völlig erhaltene Stadtmauer die alte Stadt. Unser Reiseführer führt die Fortexistenz dieses baulichen Ensembles darauf zurück, daß der Ort "stets unwichtig geblieben" sei. Daraus kann man etwas fürs Leben lernen.
Der Rundgang auf der Stadtmauer bietet einen großartigen Blick über die Dächer der Stadt und in das Tal.
Wir nehmen einen Blick auf Rimini, der uns aus der Ferne wieder mit der Adria versöhnt, und fahren weiter nach San Marino. Dort wird zwar der Blick vom Monte Titano N 43.932467 E 12.451474 in die Tiefe empfohlen, nach Gradara halten wir diese Bergfahrt aber nicht mehr für nötig. San Marino ist so, wie man sich die Schweiz der 1960er Jahre vorstellt. Dort wird einem das Auto selbstverständlich noch von einem Tankwart betankt.
Hinter San Marino haben wir einen Fernblick auf eine erotische Landschaft. Der Reiseführer empfiehlt den Besuch des Hochplateaus San Leo N 43.896052 E 12.347506 mit einer hübschen mittelalterlichen Belagerungsgeschichte, aber dafür fehlt uns die Zeit.
Wir freuen uns, daß wir zufällig an Rande der Straße auf eine zauberhafte romanische Dorfkirche ohne Dorf ringsherum stoßen.
Wir durchqueren das Tal der Marecchia, die um diese Jahreszeit nur ein Rinnsal in einem riesigen ausgewaschenen Kiesbett ist.
Die Quelle des Tiber N 43.787485 E 12.076131 (Goez S.353) ist mit dem Auto gut erreichbar und erfordert dann noch einen Aufstieg von zwanzig Minuten.
Bis vor nicht langer Zeit muß der Besuch der Tiberquelle noch eine patriotische Pflichtübung gewesen sein, worauf der Ausbau des Wanderpfades hindeutet. Am Fuße des Aufstiegs steht ein höchstens 50 Jahre altes Hotel, das erst vor kurzem aufgegeben worden sein muß.
Die Rückfahrt führt uns über Bergstraßen, auf denen es über Dutzende Kilometer keine Ausweichroute gibt. Man fährt durch Bergdörfer, die inzwischen offenbar als Zweitaufenthalte für Städter dienen, zu normalen Arbeitszeiten fast leer und vermutlich im Winter unbewohnt sind.
Wir scherzten noch: zwei Kilometer vor der nächsten Kreuzzug kommt eine Baustelle. So war es tatsächlich. Wir haben auf unseren Fahrten durch die Berge zahlreiche Baustellen auf der Talseite der Straßen erlebt, meist ist die bergseitige Fahrbahn noch passierbar.
Der Apennin besteht aus Tonschiefer. Dessen Konsistenz macht klar, warum das Wasser seine Täler auf die hier sichtbare Art auswäscht und warum so häufig Teile der Fahrstrecke abbrechen.
Auch Häuser sind gelegentlich betroffen. Wir sind fast täglich an einem vom Berg deformierten Haus vorbeigefahren, dessen Fassade gegen Sturz auf die Straße abgestützt worden war.
Mittwoch 15. Mai 2024
Die gotische Basilica di San Petronio N 44.493333 E 11.343191 hat gewaltige Größe, hier ist der Heilige aber nicht bestattet.
Die Wohntürme Torre Asinelli und Torre Garisenda N 44.494301 E 11.346914 sind die letzten verbliebenen, die meisten wurden im 16. Jahrhundert geschleift.
Auf dem Weg durch die Stadt konnten wir Bologna so sehen, wie man es sich vorstellt.
Wir haben viele Stunden in der Pinacoteca Nazionale N 44.497753 E 11.353329 verbracht mit mittelalterlicher Altar- und Sakralmalerei, einer zusammengetragenen Sammlung aus Giotto, Raffael, Tizian, Tintoretto, El Greco, Reni, und vielen weiteren...
sowie einer hochinteressanten Sammlung von Fresken aus umliegenden Kirchen, die dort abgenommen, restauriert und hier dauerhaft untergebracht wurden. Wir befaßten uns mit Exerzitien zur Formensprache von Sakralmalerei, Heiligenlegenden, Bildinterpretationen, Geschichte und Kirchengeschichte.
Wir versuchten danach noch das das Museo Civico Archeologico N 44.492851 E 11.343818, das eine große Sammlung zur Villanova-Kultur hat, die in einem Vorort Bolognas erstmals entdeckt und ausgegraben wurde und als Vorläufer der etruskischen Kultur gilt. Die etruskische Sammlung ist eher klein. Dazu kommt eine römische Sammlung. Wir waren überfordert von der Sammlung, die nicht kuratiert war und erläutert war. Es war einfach nur alles vorhandene Material in Regalen und Vitrinen abgelegt.
Donnerstag 16. Mai 2024
Die Teilung des Römischen Reiches im Jahr 395 war grundsätzlich eine friedliche. Es war prinzipiell keine Reichsteilung sondern eine Teilung der Herrschaft, um das Imperium Romanum beherrschbar zu halten. Byzanz, das Oströmische Reich, existierte in wechselnden Ausdehnungen noch bis 1453 die Osmanen Konstantinopel eroberten. Das Weströmische Reich existierte je nach Interpretation durch Historiker
Das Ostgotenreich Theoderichs umfaßte räumlich fast das ganze zu diesem Zeitpunkt verbliebene Weströmische Reich und bestand von 493 und auch weiter nach seinem Tod 526 noch bis zum Jahr 553. Zuerst mit der Hauptstadt Ravenna und dann, als 540 der byzantinische Kaiser Justinian Ravenna erobert hatte, bis 553 mit Pavia als Hauptstadt. Justinians Ziel war die Vereinigung des Religionen des griechischen Orient mit dem lateinischen Okzident. Unter ihm wurden zwischen 540 und 553 Ravennas Basiliken San Vitale und Sant'Appolinare in Classe geweiht.
Nach der Invasion der Langobarden 568 und der Gründung des Langobardischen Königreichs gerieten die Städte der Emilia-Romagna nach und nach von byzantinischer Herrschaft unter langobardische, im Jahr 751 schließlich auch Byzanz' europäische Hauptstadt Ravenna. Karl der Große eroberte 774 das Langobardenreich. Nach dem Zerfall des Karolingerreiches herrschten lokale Könige fränkischer Herkunft über Italien, bis die Herrschaft 951 durch Heirat formal an den deutschen Kaiser Otto I fiel, die er 961 durch einen Feldzug auch durchsetzen konnte.
Otto I erinnert uns an unsere Jugendzeit, wo wir ihm in einigen Reichsstätten im dann ostdeutschen Bereich begegneten, insbesondere die Ruinen der Kaiserpfalz Memleben in Thüringen sowie Quedlinburg.
Wir können den Verlauf der Ereignisse auf der Zeitachse plausibel nachvollziehen, nur die Zeit des Langobardenreichs erscheint uns merkwürdig substanzlos. Wir haben nicht lange danach geforscht, in unserem Fokus lag das Hoch und Spätmittelalter, und hauptsächlich Ravenna hatte uns veranlaßt, uns ein wenig in die Auflösung Roms einzulesen. Wir fragen aber nun, was in den vierhundert Jahren zwischen 568 und 951 eigentlich passierte in Oberitalien. Das erinnerte uns natürlich an das "erfundene Mittelalter" Heribert Illigs, der darlegt, daß die Jahre zwischen 624 und 911 nicht existiert hätten. Gunnar Heinsohn redet sogar davon, daß das erste Jahrtausend tatsächlich nur dreihundert Jahre lang gewesen sein soll. Wir werden noch viel zu lesen haben.
Nach dem Tod Ottos III 1002 begann die Macht der deutschen Kaiser über Italien schon wieder zu verfallen. Zwar existierte das Heilige Römische Reich in Italien formal noch bis zum Westfälischen Frieden 1648, aber der kaiserliche Besitz in Italien, vor allem in Oberitalien, zerfiel seit dem Hochmittelalter in zahlreiche Lehen des Reiches, während parallel im Investiturstreit Kaiser und Papst um die Macht rangen. Im Spätmittelalter, beim Tod Karls IV 1378, gehörten Ravenna, Ferrara und Bologna zum Kirchenstaat und die übrigen großen Städte der Emilia zum Heiligen Römischen Reich: Modena und Reggio unter den Este, Parma und Piacenza unter den Visconti.
Seine Blütezeit hatte Ravenna von 400 bis 500, also vor anderthalb Jahrtausenden, alles Wichtige stammt aus dieser Zeit. Im 20. Jahrhundert wuchs Ravenna um das fünffache. Vorher war es nur Provinzstadt, dann industrialisierte es sich.
Photokarte <https://intra.tedesca.net/geocode/index.html?db=photo&area=position&position=N 44.417766 E 12.199717&zoom=16>Wir wundern uns, daß Galla Placidias Leben noch nicht von Netflix als Serie verfilmt wurde.
Galla Placidia, 390 geboren in Konstantinopel, war Tochter des Byzantinischen Kaisers Theodosius I (nach dessen Tod das Reich sich teilte) und Enkeltochter des Kaisers Valentinian I. Sie war damit gleichsam ein personales Bindeglied zwischen den Reichshälften. Sie hatte zwei ältere Halbbrüder, die späteren Kaiser Honorius und Arcadius, die beide aus Theodosius' erster Ehe hervorgegangen waren.
Honorius war weströmischer Kaiser zwischen 395 und 423. In seiner Regierungszeit erodierte die kaiserliche Macht im Westreich. Im Jahr 402 verlegte Honorius seinen Hof von Mailand (das 286 eine der kaiserlichen Residenzstädte des Römischen Reichs geworden war) nach Ravenna, weil diese Stadt aufgrund ihrer Lage gut zu verteidigen war. Zu römischer Zeit, bevor sie im Podelta verlandete, lag die Stadt Ravenna zudem an einer Lagune und hatte direkten Zugang zum Meer. Mit ihrer Rückkehr an den kaiserlichen Hof im Jahr 416 nach einer abenteuerlichen Episode als westgotische Geisel nahm Galla Placidia die Rolle der Frau an der Seite ihres unverheirateten Halbbruders Honorius an.
Sie wurde 417 in Ravenna gegen ihren Willen mit den wirklichen Machthaber, den Heermeister Constantius, verheiratet. Dieser Ehe entstammten zwei Kinder: Tochter Honoria und Valentinian, der künftige Kaiser. 421 erhob Honorius seinen Schwager Constantius zum Kaiser, Galla Placidia wurde damit Augusta und ihr Sohn Valentinian wurde Thronfolger. Nur wenig später, noch im Jahr 421, starb Constantius III, kurz bevor er zu einem Feldzug gegen Byzanz aufbrechen konnte, das seine Erhebung zum Kaiser nicht akzeptierte, an einer Rippenfellentzündung. Wer's glaubt...
Zwei Jahre später, 423, starb Honorius, ohne einen Nachfolger hinterlassen zu haben. Nach wirren zwei Jahren unter einem Zwischenkaiser-Usurpator Johannes wurde 425 Valentinian III im Alter von sechs Jahren in Rom zum Augustus des Westens proklamiert. Galla Placidia regierte Westrom zunächst als Vormund ihres Sohnes. Theodosius beanspruchte jedoch weiterhin die Oberherrschaft über das gesamte Imperium Romanum.
Galla Placidia ließ Ravenna prachtvoll ausbauen, die Stadt blieb fortan der bevorzugte Regierungssitz der weströmischen Kaiser.
Der Heerführer Flavius Aëtius teilte beinahe die Lebensdaten von Galla Placidia und er war der letzte große Heerführer im weströmischen Reich. Die Jahre 405 bis 408 hatte er als Geisel bei den Westgoten und 411 bis 414 bei den Hunnen verbracht. (Sich gegenseitig wertvolle Personen als Geiseln zur Verfügung zu stellen, war bis in dei Neuzeit herein gängige Praxis zwischen verfreundeten Parteien.) 423 von Johannes mit der Rekrutierung einer Hunnenarmee beauftragt, wurde Aëtius durch seine daraufhin versammelten 60.000 Hunnen trotz des schnellen Endes des Usurpators zu einer Macht im Westreich. Es ist bekannt, daß scharfe Konkurrenz zwischen Galla Placidia und ihm herrschte.
437 heiratete der volljährig gewordene Valentinian III. Galla Placidia, der vorgeworfen worden war, ihren Sohn zu sehr verweichlicht zu haben, um ihre Macht zu sichern, zog sich daraufhin aus der Politik zurück und lebte fortan hauptsächlich in Rom und Konstantinopel.
In einem Konflikt um eine Affaire ihrer noch unverheirateten Tochter, der sich um das Jahr 450 ereignete, also kurz vor ihrem Tod, soll sie die Hunnen zu Hilfe gerufen haben und angeblich sogar dem Hunnenkönig Attila die Ehe und das halbe Weströmische Reich angeboten haben. Die Belege für all das sind schwach. Jedenfalls starb sie im Jahr 450 so unerwartet in Rom, daß sie dort begraben und nicht in ihr Mausoleum nach Ravenna überführt wurde. Wer's glaubt...
Aber vielleicht ist dies ja gar nicht das Mausoleum der Galla Placidia N 44.420965 E 12.197085. Als solches wurde es erst im 14. Jahrhundert erwähnt. Wer wirklich in den drei Sarkophagen liegt, die in dem Mausoleum aufgestellt sind, ist unbekannt.
Um die Geschichte abzurunden: Die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern im Jahre zwischen den Römern unter Aëtius und den Westgoten unter Theoderich I einerseits und den Hunnen unter Attila und den Ostgoten andererseits fand im heutigen Nordostfrankreich in der Nähe der heutigen Stadt Châlons-en-Champagne statt. Trotz der Beteiligung zweier Gotenparteien war dies insbesondere ein Machtkampf zwischen Attila und Aëtius, den Aëtius für sich entschied. Attila erstickte 453 in seiner Hochzeitsnacht friedlich an seinem Blut, das ihm angeblich wegen seiner Freude über die Hochzeit und wegen des vielen Weines aus der Nase quoll. Wer's glaubt...
Und Aëtius wurde überraschend, während er seinem Kaiser Valentinian über Steuereinnahmen vortrug, durch den Kaiser höchstselbst mit dem Schwert und einem des Kaisers Eunuchen mit einem Beil erschlagen. Vielleicht hatte Galla Placidia ihren Sohn doch nicht zu sehr verweichlicht. Ende und Abspann.
Als fromme nicänische Christin hatte Galla Placidia den Bau etlicher Kirchen veranlaßt. In Ravenna ließ sie San Giovanni Evangelista als Dank für ihre und ihrer Kinder Bewahrung bei der Rückkehr nach Italien 425 errichten. Für diese Kirche fehlte uns die Zeit.
Wir wollen noch erwähnen, daß das Große Schisma, die Spaltung in römisch-katholische und byzantinisch-orthodoxe Kirche, erst im 11. Jahrhundert erfolgte.
Die Eintrittskarten für die wichtigen Sehenswürdigkeiten kann man nicht dortselbst bekommen, sondern im Internet unter https://www.ravennamosaici.it oder in mindestens Verkaufsstellen in Ravenna. Man kann die Zeiten für den Besuch in Viertelstundengenauigkeit wählen, sofern das Kontingent für die betreffende Periode noch nicht erschöpft ist. Das betrifft:
Im Battistero Neoniano und im Mausoleo di Galla Placidia hat man nur eine Viertelstunde Zeit und es passen nur nur wenige Leute hinein, aber genug, daß Gedränge entsteht. Glücklicherweise liegt alles Wichtige, was zu sehen ist, über Kopfhöhe. Für die anderen Sehenswürdigkeiten hat man genug Zeit.
Eine Viertelstunde reicht bei weitem nicht aus. Wenn man zu zweit ist, kann wenigstens einer richtig hinsehen und zuhören, der andere ist mit Photographieren beschäftigt. Am besten, man kauft gleich einen entsprechenden Bildband dazu.
Dasselbe haben wir auch in der Cappella Scrovegni in Padua, die vollständig von Giotto ausgemalt ist. Dazu gibt es wenigstens gute Bildbände.
Die bekannteste Kirche Ravennas ist die Basilica di San Vitale N 44.420578 E 12.196399, deren Bau noch unter den Ostgoten und dem byzantinischen Kaiser Justinian begann.
An San Vitale wie auch am Mausoleum kann man erkennen, daß sich das Bodenniveau außen herum in den 1500 Jahren seit dem Bau um einiges angehoben hat. In beiden Häusern steigt man Treppenstufen nach unten.
Als Finanzier von San Vitale wie auch von Sant'Apollinare in Classe wird ein Iulianus Argentarius genannt, der in Ravenna lebte und im Kreditgeschäft steinreich geworden sein soll.
Ravenna hatte eine besondere Bedeutung auf unserer Reise. Während das meiste, was wir sahen, dem Hoch- und Spätmittelalter mit romanischem und gotischem Baustil zuzuordnen ist, befinden wir uns hier in der Vorromanik. Die Einteilung in Geschichts- und Stilepochen ist vielleicht formal, vereinfacht aber Einordnen, Wiedererkennen und Verständnis.
Das Mittelalter dauerte fast tausend Jahre:
Die Baustile des Mittelalters sind:
Auffallend ist die relative Lücke im vorromanischen Bauen zwischen dem 6. und 9. Jahrhundert.
Die Neuzeit dauert seit 500 Jahren an (und geht vielleicht in unserer Zeit zu Ende). Der Übergang zur Neuzeit wird durch folgende Daten markiert:
Das mit der Basilika verbundene Museo Nazionale, zu dessen Besuch der Reiseführer sehr rät, haben wir ebenfalls aus Zeitgründen nicht besucht.
Der Dom von Ravenna N 44.415643 E 12.196468 ist nicht mehr der ursprüngliche, sondern wurde in 18. Jahrhundert abgerissen und neu gebaut. Ein ungeheuerlicher Akt der Willkür. Girolamo Crispi, Erzbischof von Ferrara, hatte die Idee dazu, sein Nachfolger Maffeo Niccolò Farsetti, Erzbischof von Ravenna, hat es schließlich befohlen. Wir haben die barocke Kirche ignoriert.
Das alte, achteckige Baptisterium N 44.415586 E 12.197364 ist noch erhalten.
Wir weisen darauf hin, daß im Reiseführer von Goez alle Bauwerke recht ausführlich beschrieben sind.
Im Museo Arcivescovile N 44.414934 E 12.197697 ist einiges ausgestellt, was aus dem Schutt der abgerissenen Kathedrale geklaubt werden konnte.
Das Wichtigste im Museum ist aber die Andreaskapelle mit ihren Mosaiken. Sie war Teil des Bischofspalastes und ist Anfang des sechsten Jahrhunderts entstanden.
Die Basilika Sant'Apollinare Nuovo 44.41676008117124, 12.204908697609273 stammt wie das Mausoleum und San Vitale aus vorromanischer, spätrömischer Zeit. Die Kirche wurde durch Theoderich als Hofkirche seines nicht mehr existierenden Palastes errichtet. Sie heißt zwar "Nuovo", ist aber älter als Sant'Apollinare in Classe.
Die Basilika Sant'Apollinare in Classe N 44.380155 E 12.232587 wurde ebenfalls vom bereits genannten Iulianus Argentarius finanziert und 549 geweiht. Die Reliquien des Heiligen Apollinaris, des ersten Bischofs von Ravenna, schienen im 9. Jahrhundert hier nicht mehr sicher genug vor Plünderungen, da Classe fernab lag und ungeschützt war. Sie wurden in die Basilika innerhalb der Stadtmauern überführt, die dann ebenfalls diesem Heiligen geweiht und "Nuovo" genannt wurde.
Kaiser Otto III soll im Jahr 1000 zur Buße für irgendeine Tat barfuß bis Süditalien gepilgert sein (wieder: wer's glaubt...) und hier Station gemacht haben.
Für das Mausoleo di Teodorico 44.42497090876818, 12.2091719981883 kamen wir zu spät, wir hätten darin aber auch nur eine leere Porphyrwanne sehen können, die aber vermutlich nicht einmal seiner Bestattung dient, sondern ihrer Form nach seine Badewanne zu Lebzeiten gewesen sein könnte.
Freitag 17. Mai 2024
Piacenza existierte vor der Via Emilia und lag an einem wichtigen Weg aus Ligurien durch das Trebbia-Tal. Andere Orte, die in regelmäßigen Abständen an der Via Emilia liegen, wurden als Rastplätze und Instandsetzungsstationen mit dem Bau der Straße gegründet. Innerhalb des alten römischen Straßenrasters Piacenzas mit seinen Insulae ist keine der Kirchen gelegen.
Man nennt im Italienischen die Jahrhunderte wie bei uns gewohnt:
Als Epochenbezeichnung und Stilbegriff sagt man:
Im Kloster San Sepolcro N 45.055258 E 9.685071 rief Urban II. 1095 erstmals zum Kreuzzug auf. Wir können heute nur noch den Ort sehen, nicht die Stätte, denn das heutige Kirchengebäude wurde im 16. Jahrhundert errichtet. Urban reiste danach weiter zur Synode von Clermont, wo er den Aufruf wiederholte und die Menge ihm antwortete "Deus lo vult" - "Gott will es".
Wie schon bemerkt: Am anderen Ende der Via Aemilia wurde 130 später ein Schlußstrich unter die Kreuzzüge gezogen, und an einem anderen Ende Mitteleuropas wurde dann nochmals 230 Jahre später ein Schlußstrich unter das geschichtlich relevante Wirken des Deutschen Ordens gezogen.
Zu den Kreuzzügen hatten wir vor der Reise noch Rodney Stark gelesen, "Gottes Krieger - Die Kreuzzüge in neuem Licht", was uns eine Schlüssellektüre bleiben wird und auf dieser Reise bereits geholfen hat. Wie nötig solche raren Bücher sind, merkt man, wenn man den Wikipedia-Artikel zu "Deus lo vult" liest. Während Stark das Ereignis der Kreuzzüge rational in einen europaweiten historischen und gesellschaftlichen Kontext stellt, bringt es Wikipedia nicht weiter als bis zu Anführungszeichen um "Heilige Stätten" und einen Verweis auf heutige Rechtsextreme. Der Untergang Roms ist noch nicht ideologisch vermintes Terrain, aber viel weiter kann man Wikipedia nicht trauen. Es gibt keine Lexika mehr, selbst die Encyclopedia Britannica hat ihr Erscheinen eingestellt, und Geschichte wird in den nächsten Jahren in gigantischem Ausmaß verschwinden.
Die Kirche Sant'Antonino N 45.049653 E 9.694882 hat eine eigentümliche Baugeschichte. Sie steht an der Stelle der ältesten Kirche Piacenzas und möglicherweise der heutige Bau noch Mauerwerksanteile aus dem 4. und 5. Jahrhundert. Die ursprüngliche Kirche war, wie es sich gehört, mit dem Chor nach Osten ausgerichtet.
Bei der nächsten Erweiterung des Baues im 10. Jahrhundert wurde die ursprüngliche Kirche zum Querschiff und der Chor drehte sich nach Norden. Der Reiseführer zeigt gut nachvollziehbar diese und weitere Phasen des Baues. Es ist unterhaltsam, dies vor Ort nachzuvollziehen. Sichtbarstes Zeichen sind die acht wuchtigen Pfeiler, die die Vierung eingrenzen, wie man es normalerweise bei keiner Kirche sieht.
1183 trafen sich in Sant'Antonino die Abgesandten des Lombardenbunds und des Kaisers Friedrich Barbarossa, um den Frieden von Konstanz vorzubereiten, mit dem der seit 1076 andauernde Investiturstreit beigelegt werden sollte. Mit diesem Friedensschluß wurde die kommunale Verfassung in Reichsitalien vom Kaiser akzeptiert, nachdem alle Versuche Friedrichs, diese Sonderentwicklung aufzuhalten, gescheitert waren. Die Kommunen genossen nun eine privilegierte Rechtsstellung. Das Heilige Römische Reich hatte seine Präsenz in Italien hingegen faktisch zur Disposition gestellt.
Literatur: Ines Hoepfel, "Der Friede von Konstanz 1183 unter besonderer Berücksichtigung der Vorverhandlungen von Piacenza".
Nach dem Investiturstreit 1076-1122 begannen die norditalienische Städte, sich in Allianz mit der Kirche aus der Beherrschung durch das Reich zu lösen. Es kam zu einer bürgerlichen Blütezeit.
Die Kathedrale von Piacenza N 45.050388 E 9.697312 ist dafür ein schönes Beispiel. Sie wurde ab 1122 von der Bürgerschaft errichtet. Ein Zeichen des in dieser Zeit gewachsenen bürgerlichen Selbstbewußtseins sind die Steinmetzarbeiten, in denen sich viele Gilden mit kleinen Handwerksszenen auf den Säulen verewigt haben, man kann einige Zeit mit dem Suchspiel verbringen.
Man sollte unbedingt den Säulenwald der Krypta gesehen haben.
Gut zu erkennen ist, wie die Kirche baugeschichtlich gewachsen ist, aber stellenweise auch der Verfall, der immer wieder aufgehalten werden muß.
Mitte des 13. Jahrhunderts war es mit der Bürgerpracht schon wieder vorbei und Piacenza geriet unter Fürstenherrschaft. Die Signorien lösten einander ab. Die letzte waren die Farnese, die vom 16. bis zum 18. Jahrhundert hier Herzöge waren. Mit dem Bau ihres Palazzo Farnese N 45.055353 E 9.695714 hatten sie sich dennoch übernommen, es ist eine Bauruine.
Tritt man durch das Torportal auf den Innenhof, wird man davon überrascht, daß die Außenfassade eine fast leere lächerliche Hülle ist. Man sieht es auf dieser Rundumsicht: ein schmaler Ring zusammengestückelter Bauten, nach hinten offen, durch die kleine Pflasterung des Bodens noch größer und verlorener wirkend.
Das Konvent San Sisto N 45.056993 E 9.692473, gestiftet im 9. Jahrhundert als Frauenkloster, haben wir nicht besichtigt. Wir haben es hier als Beispiel für den Ausverkauf, der in Oberitalien gelegentlich stattfand, wenn Geld gebraucht wurde. Das Kloster erhielt von Raffel Anfang des 16. Jahrhunderts die Sixtinische Madonna, die 1754 vom sächsischen Hof erworben wurde und im Konvent durch eine Kopie ersetzt wurde.
Santa Maria di Campagna N 45.056357 E 9.679561 gilt als wichtiges Kirchenbauwerk der Hochrenaissance. Übrigens architektonisch ein wunderschöner Zentralbau.
Was uns an ihr stört, überhaupt an jeglicher Renaissanceausstattung in Kirchen, ist ihre Eitelkeit, die dort nichts zu suchen hat. Man sehe sich nur diese obszöne Papstfigur an.
Noch ein Detail: Die achteckigen Ornamente, die die Deckengewölbe bedecken, sind dreidimensional. Sie sind aber nur mit Akribie so gemalt, und zwar genau auf die Perspektive dessen hin, der an einem späten Vormittag in der Mitte der Vierung steht. Das ist überwältigend präzise ausgeführt, nur wer zur Seite geht oder zu einer anderen Tageszeit kommt, wenn das Sonnenlicht anders durch die Fenster fällt, wird stutzig, daß mit dieser Decke etwas nicht stimmt. Schon mit der Gotik haben sich möglicherweise die Baumeister selbst mehr verehrt als ihren Herrn, aber hier wird die Renaissance blasphemisch.
Sonnabend 18. Mai 2024
Für Piacenza braucht man mindestens einen Tag. Um die wichtigen Stätten, also hauptsächlich Burgen und Klöster, südlich von Piacenza zu sehen, braucht man eigentlich zwei Tage. Da wir nur einen Tag dafür vorgesehen hatten, reduzierte sich der Umfang automatisch. Vieles reicht auch im Vorbeifahren zu sehen, das sich sich dekorativ in die Landschaft einbettet.
Zum Beispiel Castello di Rivalta N 44.950886 E 9.591204. Von der Straße von Piacenza am Trebbia entlang in Richtung Rivergaro fuhren wir kurz ab, entdecken das verschlafene Dorf Case Buschi N 44.948027 E 9.597681 am über des Trebbia und mit Blick auf Rivalto.
Im Trebbia-Tal fand übrigens 218 vor Christus im zweiten Punischen Krieg eine Schlacht zwischen Rom und Karthago statt, auf karthagischer Seite Hannibal mit seinen Elephanten, die er über die Alpen gebracht hatte.
Oder Castello di Montechiaro N 44.87884 E 9.566087, das noch im Familien- oder immerhin in Privatbesitz und nicht zu besichtigen ist.
Wir waren kurz in Grazzano Visconti N 44.934162 E 9.670925, einem am Anfang des 19. Jahrhunderts im mittelalterlichen Stil umgestalteten Dorf, aber das ist Nepp. Wir fuhren gleich weiter ohne auszusteigen.
Die wichtige Station am Trebbia ist die Abtei Bobbio N 44.76885 E 9.386299. Der Ort Bobbio liegt im Tal direkt am Fluß, ringsherum steigen die Berge auf 1000 Meter an.
Bobbio wurde Anfang des 7. Jahrhunderts gegründet und war das erste Kloster im Langobardischen Königreichs. Ihr Gründer war der heilige Columban, und wir sind ihm hier tatsächlich zum dritten Mal auf unseren Reisen begegnet.
Das erste Mal war auf unserer Reise in die Bretagne 1993. Unsere zweite Begegnung mit seinen Hinterlassenschaften war auf unserer Reise nach Irland 1994. Dort war Columban im Jahr 540 geboren. Columban war Missionar und wohl mit einer gehörigen Portion Fanatismus ausgestattet. Er zog im Lauf seines Lebens durch halb Europa und ging den Leuten wohl überall, wo er auftauchte, gehörig auf die Nerven. Warf Alemannen ihre Trinkgelage vor und zerschlug ihre Bierfässer - solche Sachen. Seine Lebensreise war möglicherweise eine einzige Flucht.
Der Langobardenkönig tat etwas Weises und schenkte Columban Bobbio für eine Klostergründung, womit der Heilige bis zu seinem Tod beschäftigt war.
Wir hatten also nun die Ehre, am Grab des Heiligen aller christlichen Konfessionen zu stehen. Sogar die Protestanten respektieren ihn, was uns nicht verwundert.
Auf die alte Brücke Ponte Gobbo N 44.767181 E 9.391929 über den Trebbia sind wir erst in Bobbio aufmerksam geworden. Die Brücke wurde im 7. Jahrhundert von den Mönchen gebaut, an der gleichen Stelle stand vorher schon eine römische Brücke.
Der Hintergrund von Leonardos Mona Lisa ist, wie Kunsthistoriker festgestellt haben, genau diese Brücke, wir hätten es natürlich nicht erkannt.
Wir erinnern uns, daß wir die Mona Lisa in den 1990ern einmal während eines unserer zahllosen Parisaufenthalte im Louvre gesehen haben. Die Erinnerung ist schrecklich, denn gewaltige Scharen von Touristen schoben sich vor dem Bild entlang. Es wirklich zu betrachten war nicht möglich. Wir sollten uns auf dieser Reise an unser Mona-Lisa-Erlebnis erinnern und verzichteten von vornherein darauf, in die Uffizien hineinzukommen, als wir für einen Tag in Florenz waren.
Auf diesem Parkplatz müßte Leonardo für die betreffende Perspektive auf den Ponte Vecchio gestanden und gemalt haben, vielleicht war also auch seine Lisa dort.
Das Castello di Bardi N 44.629436 E 9.731601 ist eigentlich schon in der Provinz Parma gelegen, und südlich von Parma und Reggio würden wir noch eine weitere Burgenrundfahrt machen. An diesem Tag lag sie günstig auf unserer Rückfahrt, und eine Besichtigung der Burg ist gewissermaßen nur eine Außenbesichtigung, da keine nennenswerten Ausstellungen in ihrem Innern sind, die frühzeitig schließen könnten. So konnten wir in den Abendstunden durch leere Säle, über Wehrgänge und Treppen wandeln und nichts als Stein und wunderbare Fernsichten sehen.
Man kann auf Bardi wirklich viel herumlaufen, die Anlage ist gigantisch. Die überall umlaufenden Wehrgänge mit ihren Schießscharten bieten schöne Ausblicke auf den Fluß, die Berge dahinter und auf das Städtchen.
Wir lesen, daß Bardi historisch wichtig gewesen sei, die Aufzählung all der scheußlichen Herrschergeschlechter, denen die Burg gehörte, zum Schluß wieder die unvermeidlichen Farnese, langweilt schon etwas.
(Das Haus im Bild, ober auf der Hochebene der Burg gelegen, scheint vom Hausmeister der Burg bewohnt zu sein.)
Das großartige an Bardi ist ohnehin seine schiere Größe und seine absolute Nutzlosigkeit, zumindest heute. An so einem Riesenbau ist viel zu unterhalten, und wir stellen uns vor, daß alle Bauhandwerker des Ortes, der der Burg zu Füßen liegt und nach wie vor nur ihr dient, nichts tun als den Bau zu erhalten. Wer das bezahlen kann, ist uns schleierhaft.
Und der Ort ist auch, wie unserem Reiseführer vor 40 Jahren bereits aufgefallen ist, völlig uninspiriert, was er mit dieser Immobilie anfangen soll. Das wären wir aber auch.
Was wir nicht gesehen haben:
Das Castell'Arquato ist sehr dekorativ und auf der Umschlagseite des Reiseführers abgebildet, aber die Zeit hat dafür einfach nicht gereicht. Die Burg ist von Alberto Scoto gebaut, der als übler Tyrann bezeichnet wird, und fiel dann nacheinander in die Hände der Familien Visconti, Sforza, Piccinino, Colleoni, Trivulzio und schließlich auch noch Farnese.
Die Zisterzienserabtei Chiaravalle della Colomba wurde um 1135 von Bernhard von Clairvaux gegründet und könnte die erste in Italien gewesen sein. Wir freuen uns aber, daß wir im dekorativen Bobbio Columban begegnet sind.
Montag 20. Mai 2024
Dies war eine nicht wirklich notwendige Tagesfahrt zum und um den Monte Cimone N 44.193775 E 10.699139, von dem aber nicht viel zu sehen war, mit etwas antiquierter Industrie.
In Castiglione dei Pepoli N 44.141314 E 11.155838 gibt es ein paar Kleinigkeiten beim Rundgang um die Piazza zu sehen.
Der Lago Brasimone N 44.129904 E 11.116362 wurde Anfang des 20. Jahrhunderts angelegt. Der Staudamm und die Technik dahinter wirkt behäbig und antiquiert.
Wir lieben kleine alte Kernkraftwerke. Die Reste vom Kraftwerk Rheinsberg, das in unserer Nähe am Stechlin liegt, haben wir einmal besucht, die Natur holt sich das Terrain langsam zurück. Antiquiert wirkt auch das niedliche Kraftwerk am Brasimone aus den 1970er Jahren, das einmal enorm fortschrittlich war, nämlich ein mit flüssigem Natrium gekühlter schneller Reaktor, der 1986 zusammen mit aller Kernenergie in Italien stillgelegt wurde. Da war Italien Deutschland 30 Jahre voraus. Wir lasen, daß Pläne existieren, den kleinen Reaktor zur Forschung wieder in Betrieb zu nehmen, aber wir glauben ohnehin nicht mehr an Europa.
Wie ein Industriemuseum wirkt auch der Staudamm am hoch gelegenen Lago di Suviana N 44.134475 E 11.040745. Gigantische Energiemengen werden hier offenbar nicht erzeugt. Nicht mehr benötigte Industrieanlagen haben ein eigentümliches Summen, das wir schon auf dem Forschungsgelände der Akademie der Wissenschaften der DDR, bei Siemens in Berlin und etwas später auch bei Siemens in München kennengelernt haben. (Unser ganzes Leben waren wir auf der Flucht vor dem Zusammenbruch.)
Hinter der Staumauer hat man einen schönen Blick ins Tal.
Etwas angeberisch sind Hochspannungsleitungen kreuz und quer gespannt, das ist dekorativ und verstärkt den Eindruck einer Kulisse. Die beiden Staudämme haben uns viel Freude gemacht.
1994 sind wir schon einmal über den Abetone-Paß N 44.145639 E 10.664978 gefahren, damals auf dem Weg in die Toskana nach Volterra. Wir haben es uns damals notiert, erinnern konnten wir uns nicht mehr.
Es war ein Tag mit viel Berglandschaft.
Mittwoch 22. Mai 2024
Dies ist der Beginn unserer zweiten Zweitagefahrt, nach Modena, Parma und schließlich zu einigen historischen Stätten in den Apenninen südlich von Parma und Reggio.
Der Cardo bezeichnet die bei der Anlage einer römischen Stadt angelegte Hauptachse, die meist in Nord-Süd-Richtung angelegt wurde. Senkrecht zu dieser Hauptachse wurde eine meist in Ost-West-Richtung verlaufende Achse festgelegt, die Decumanus genannt wird. Der Kreuzungspunkt dieser Hauptachsen bezeichnet das Zentrum der Stadt. Darum herum wurde ein regelmäßiges orthogonales Straßengitter festgelegt, das die Fläche in rechteckige (quadratische) Insulae aufteilte. Piacenza ist dafür ein gutes Beispiel. In Modena sieht man das nicht, da die ursprüngliche römische Kolonie durch Krieg und Überschwemmung völlig zerstört wurde. Ab Ende des 9. Jahrhunderts wurde die Stadt mit neuem Grundriß neu errichtet.
Den Dom mit Torre Ghirlandina N 44.646472 E 10.925099 muß man unbedingt sehen. Das Westportal von der Straßenseite wirkt überraschend gedrungen.
Die Nordseite ist von einer Gasse eingezwängt, die Südseite zeigt zur Piazza ihre Pracht. Baubeginn war am Ausgang des 11. Jahrhunderts. An der Weihe nahm unter anderem Markgräfin Mathilde von Canossa teil, der man in der Region und in der Geschichte in mehreren Zusammenhängen begegnet.
Auf dem Westportal sollte man sich Zeit nehmen für die bezaubernden naiven Reliefs des Bildhauers Wiligelmus, der schon zu Lebzeiten außerordentliche Verehrung genoß. Die Reliefs gelten als der Anfang der mittelalterlichen Bildhauerei in Italien. Die Ausführungen des Reiseführers hierzu sind sehr nützlich.
Der Dom von Modena ist die schönste der Kirchen, die wir in der Emilia-Romagna gesehen haben.
Die Innenausstattung ist reich und erhalten. Der Terracottaaltar von Michele da Firenze aus dem 15. Jahrhundert und das Abendmahlsrelief von Anselmo da Campione an Lettner aus der frühen Bauzeit des Domes.
Die Grundmauern und Pfeiler sind der Architekturperiode und der Größe des Baues entsprechend schwer. Die spätere Dekoration des Chorumbaues hingegen ist hingegen filigran.
Außen am Chor kann man sehen, wie weit in den tausend Jahren seit Baubeginn das Bodenniveau angewachsen ist.
Der Torre Ghirlandina hat sich, wie anscheinend jeder Turm in Oberitalien, bereits in Richtung des Doms geneigt, als der Bau gerade ein Drittel seiner Höhe erreicht hatte. Man kann gut erkennen, wie der Turm mit mehreren Knicken wieder in die Vertikale weitergebaut wurde. Die Erdbeben des 12. Jahrhunderts haben Turm und Dom ohne Schaden überstanden.
In der Halle des Torre hängt als merkwürdige Trophäe ein hölzerner Eimer aus einem Krieg mit Bologna im 14. Jahrhundert.
Der Aufstieg auf dem Turm lohnt sich wegen des Ausblicks auf Stadt und Berge.
Der Palazzo Ducale N 44.649223 E 10.929589 ist der neuzeitliche Sitz der italienischen Este, nachdem sie aus Ferrara exmittiert wurden. Seltsamerweise hat auch dieser Palast wieder den Anschein einer hohlen Fassade, aber wir haben nicht dahinter geblickt.
Im Palazzo dei Musei N 44.648227 E 10.920308 gibt es einige Museen und Galerien, die empfohlen werden, die wir aber nicht aufgesucht haben.
Mittwoch 22. Mai 2024
Die Kirche der Abtei San Giovanni Evangelista N 44.802925 E 10.332084 aus dem 10. Jahrhundert und neu gebaut Ende des 15. Jahrhunderts mit Fresken von Coreggio war leider geschlossen.
Der Romanische Dom N 44.80339 E 10.330743 wurde ab Mitte des 11. Jahrhunderts gebaut, also einige Jahrzehnte früher als der von Modena, und erhielt im 14. Jahrhundert gotische Anbauten.
Geweiht wurden diese beiden Kathedralen fast im gleichen Jahr, und überhaupt fanden wir die beiden sehr ähnlich. Denkt man sich die Rosette in der Westfassade von Modena weg, die ohnehin späteren Datums ist, ist die Strukturierung der Westfassade wie auch der Wände des Langschiffs fast die gleiche.
Durch die Modernisierung der Deckengewölbe, die Ausmalung und die in diesem Fall angemessenen barocken Verzierungen wirkt diese Kirche wesentlich jünger.
Die Darstellung der Kreuzabnahme von Benedetto Antelami soll ein Frühwerk sein.
Antelami ist, als das Baptisterium Jahrzehnte nach dem Dom gebaut wird, nicht mehr nur Bildhauer, sondern Architekt. Der gesamte Entwurf des Baues soll von ihm stammen.
Die Taufkapelle ist ebenso wie die wesentlich ältere in Ravenna achteckig, davon abgesehen, soll das Baptisterium von Parma in einzigartig sein. Das betrifft insbesondere die Lösung für die in die Wände eingelassenen Umgänge der Zuschauerränge.
Andererseits hat der Stil der Bildhauerarbeiten noch das Naive, das wir von Wiligelmus gesehen haben.
Jede Stadt hat ihre patriotischen Denkmäler. Der faschistische Stil von dieser Installation hat uns besonders amüsiert.
Der Palazzo della Pilotta N 44.804634 E 10.327642, ab 1583 erbaut unter Enteignung vieler Grundstücke, war das Haus der Farnese in Parma. Auch ohne die Zerstörungen aus dem Krieg wäre es wohl kaum sehenswert gewesen. Es enthält einige Museen, die wir aber nicht gesehen haben.
Die Stadt Reggio haben wir bei unserer Reise ausgeklammert. Was wir dem Reiseführer entnehmen konnten, schien uns nicht sonderlich attraktiv.
Donnerstag 23. Mai 2024
Nach einer Übernachtung südlich von Parma machen wir unsere Rundfahrt durch die Region.
Torrechiara wurde in mittelalterlicher Zeit mehrfach zerstört und wieder aufgebaut. In der heutigen Form komplett neu gebaut wurde sie Mitte des 15. Jahrhunderts von Pier Maria II de' Rossi, der seine letzten zwanzig Jahre dort genießen konnte. Unter anderem dafür war sie nämlich ganz offensichtlich gebaut.
Der klare Himmel ist voll von Mauerseglern, als wir dort ankommen.
Die Burg wird jetzt vom italienischen Staat unterhalten, ist bis ins Detail restauriert und wirkt blitzsauber. Sie ist auf Touristenansturm ausgelegt, aber nach dem wir die Kasse passiert haben, sind wir dort mutterseelenallein.
Der Signoria der Rossi gehörte die Gegend um Parma, aber der Familie ging wohl das Militärische ab. Er war zwar Condottiere für die Herzöge von Mailand, aber im übrigen komponierte und dichtete er und schwärmte für die Mathematik. Sein Vater Pier Maria I war Musiktheoretiker und Komponist gewesen.
1482 stürzte er sich in einen Krieg gegen seine Lehnsherren, der nicht glücklich für ihn verlief, und starb im selben Jahr 70-jährig auf seiner belagerten Burg.
Torrechiara macht im Innern den Eindruck, als ginge ihr das Militärische ebenso ab wie ihrem Besitzer.
Aber sie war wohl auch in erster Linie als Liebesnest für ihn und seine Geliebte Bianca Pellegrini d'Arluno, die zwei Jahre vor ihm auf Torrechiara starb.
Zentraler Ort der Burg ist das Schlafzimmer "Camera d'Oro". DIGNE ET IN ETERNUM (würdig und auf ewig) und NUN ET SEMPER (jetzt und für immer) heißt es hundertfach und mit Herzchen und flatternden Bändern auf den Terrakottafliesen der Schlafzimmerwände.
Auf den Deckenmalereien ist dargestellt, wie seine Geliebte ihn auf all seinen Schlössern sucht.
Vom Schlafzimmer tritt man zum Abkühlen direkt auf eine große Terrasse mit Blick auf den Fluß und die Berge. Das ist eine hocherotisches Bauwerk und Torrechiara eine unserer schönsten Erinnerungen an diese Reise.
Später soll die Burg von einem Kardinal bewohnt gewesen sein. Das Akrobatenzimmer erzählt von seinen Obsessionen.
Zufällig finden wir auf unserer Fahrt durch das Dorf Tortiano 44.684318211015224, 10.416794739610234 einen wunderschönen aufgegebenen Bauernhof, gut erhalten und komplett mit Wohnhaus, Scheune, Geräteschuppen und Stall.
Es gibt ein Unzahl von Burgen und Ruinen in der Gegend südlich von Parma.
Über eine Serpentinenstraße erreicht man Canossa N 44.575937 E 10.45554.
Es war unter Mathilde von Canossa der sprichwörtliche Ort der Auseinandersetzung zwischen König Heinrich IV und Papst Gregor VII im Investiturstreit von Dezember 1076 bis Januar 1077. Vom Mauerwerk ist wenig erhalten, einiges scheint auch hinzurestauriert.
Die Familie der Canossa herrschte im 10. und 11. Jahrhundert über Modena, Reggio, Parma und Ferrara und ihr Machtbereich wurde in den apenninische Vorbergen durch ein System von Festungen geschützt. Mit Mathildes Tod 1115 endete die Dynastie der Canossa.
Die Ausstellung wirkt wie eine Kultstätte für die Markgräfin. Wenn man in der Geschichte schon mal eine wichtige Frau findet, muß man sie gehörig würdigen.
Der Blick von der Ruine hinunter zeigt, wie gefährdet hier jeder Bau in der Höhe ist. Alles wird irgendwann einmal abrutschen.
Wir verlassen den Apennin und wechseln hinüber zur Ebene, weil wir noch das Städtchen Don Camillos sehen wollen.
In der Kirche findet man den Herrn Jesus Christus, der seinen Don Camillo im Film immer mit sanfter Stimme zur Besonnenheit mahnt.
Brescello N 44.901165 E 10.515794 wirbt intensiv mit dem Priester und dem stalinistischen Bürgermeister und inszeniert sich als erhaltene Filmkulisse, was aber nicht aufdringlich ist. "Il Mondo di Don Camillo, Ieri e oggi" ist ein im Ort oder im Internet https://www.ilmondodidoncamillo.it erhältliches mit Früher-Heute-Gegenüberstellungen der Filmorte, man wird sie aber kaum alle abwandern.
Wir waren auf unserer Reise in etlichen Städten mit viel Schönem und Interessanten, die uns aber trotzdem oft etwas genervt haben. Bologna zum Beispiel und auch Ravenna wegen der Touristenmassen. Touristen sind schließlich nur die anderen.
Zufällig kamen wir nach Carpi 44.7844439374146, 10.885923490612782 und waren entzückt von der Ruhe, Beschaulichkeit und Eleganz dieser kleinen und geschichtlich unbedeutenden Stadt.
Freitag 24. Mai 2024
Wir wollten wenigstens einmal in Florenz gewesen sein. Einen Platz in einer Parkgarage in einer Innenstadtgasse zu bekommen, war noch einfach. Man muß natürlich einen Autoschlüssel dalassen, da sie das Auto umrangieren und wenn nötig auch zeitweise quer durch die ganze Stadt an eine Außenstelle verschieben. Ein wenig Vertrauen gehört schon dazu, aber unserem Auto ist während der ganzen Reise nichts passiert.
Die Uffizien hatten wir ja garnicht erst ins Auge gefaßt. Die Galleria dell'Accademia N 43.776916 E 11.25876 hätte uns wegen Michelangelo interessiert, aber dort war schon am Morgen eine gewaltige Schlange, desgleichen am Dom Santa Maria del Fiore N 43.773147 E 11.25545. Wir hätten Tage zuvor im Internet buchen können, dafür war unser Entschluß aber zu spontan.
In Santa Croce N 43.768653 E 11.262145 findet man eine illustre Sammlung von Personalien der italienischen Renaissance: Michelangelo, Galilei, Machiavelli, viele andere. Schon dafür lohnt der Besuch.
Für den gewöhnlichen Adligen oder Kleriker gibt es die Grabstelle mit inzwischen meist abgetretener Platte im Boden. Einige dieser Grabplatten werden inzwischen mit einer Kordelumzäunung geschont. Seit wir von einem kundigen deutschstämmigen Touristenführer in der Kirche von Marienwerder in Ostpreußen gelernt haben, daß unkenntliche Grabplatten etwas Gutes sind, tun diese Leute uns natürlich leid. Denn sind sie erst abgetreten, seien alle Sünden vergeben, weswegen vermögende Leute ihre Grabstellen gern in der Mitte des Hauptganges hatten.
In der Anlage von Santa Croce kann man einige Zeit verbringen.
Wir gingen über den Ponte Vecchio N 43.768018 E 11.253154, wo aber nur noch Gold, Goldschmuck und goldene Uhren gehandelt werden, großer Nepp.
Vor dem steilen Aufstieg zum höchsten Aussichtspunkt von Florenz sahen wir noch ein besonders schönes patriotisches Denkmal.
Vom Piazzale Michelangelo N 43.761885 E 11.264972 aus hat uns Florenz tatsächlich am besten gefallen. Nun sind wir also auch in Florenz gewesen. Gelohnt hat es sich eigentlich nicht, aber wären wir nicht hingefahren, hätten wir vielleicht fortan immer das Gefühl gehabt, etwas Wichtiges verpaßt zu haben.
Sonnabend 25. Mai 2024 bis Montag 27. Mai 2024
Wir wollten unserer Reise noch den Abschluß eines eintägigen Aufenthalts in einer Stadt auf der Rückfahrtroute gaben. Die Wahl fiel auf Padua. Dann wurde uns klar, daß man nicht in Padua sein kann ohne die Scrovegni-Kapelle gesehen zu haben. Um dort hineinzukommen, mußten wir unseren Aufenthalt auf drei Tage verlängern, aber das hat sich gelohnt.
Literatur auch hierfür: Fritz Baumgart, Oberitalien (unter Bücher → Reise).
Wenn man in Padua ist, sollte man unbedingt einmal durch die Colli Eugánei fahren. Wir kamen von Süden und fuhren über die Stadt Este N 45.222541 E 11.659316. Die Colli Eugánei waren schon sehr früh in vorrömischer Zeit besiedelt. Sie waren das einzige Gebiet weit und breit, das sicher vor Überflutungen durch den Po war.
Die Colli Eugánei (Euganeische Hügel) N 45.306361 E 11.698197 sind vulkanischen Ursprungs und ringsherum gibt es zahlreiche Therme, Orte mit Thermalquellen. Die hügelige Landschaft auf engem Raum wirkt unübersichtlich und ist abwechslungsreich.
Das Klima ist mild und die kleine Region lebt vom Wein- und Obstbau. Alles ist üppig, man wähnt sich im Paradies.
Außerhalb der Colli Eugánei konnte erst gesiedelt werden, als die Regulierung des Wassers Fortschritte gemacht hatte. Padua entstand als römische Siedlung und verfiel mit dem Untergang des Römischen Reiches. Im Jahre 452 floh das Volk vor den Hunnen unter Attila auf die Inseln in der Lagune, aus denen Venedig entstehen sollte. Unter Byzanz, den Karolingern, Langobarden und Ottonen war die Geschichte wechselvoll wie gewohnt.
Anfang des 12. Jahrhunderts war die Bürgerschaft frei, im 14. Jahrhundert fiel sie an eine Signorie. Vom 15. Jahrhundert an gehörte Padua für 400 Jahre zu Venedig, was wohl ein Glück für die Stadt war.
Die Universität wurde 1222 gegründet als von kaiserlichem und kirchlichen Einfluß freie Eigengründung vermögender Studenten, die hauptsächlich von Bologna abtrünnig wurden.
Wir empfanden Padua als entspannt. Touristen gab es nicht in solchen Massen, daß es lästig gewesen wäre. Nach dem anstrengenden Florenz waren das drei besonders heitere Tage am Ende der Reise.
Padua hat zwei Marktplätze: Piazza delle Erbe und Piazza delle Frutta. Wir haben es erlebt, auf dem einen wird echtes Obst und Gemüse verkauft, auf dem anderen der gleiche China- und Vietnam-Plunder wie auf allen Marktplätzen Europas. Dazwischen liegt der Palazzo della Ragione N 45.407237 E 11.875277 als Ratssaal der Bürgerschaft aus dem 13. Jahrhundert.
Der Palazzo besteht aus einer einzigen großen Halle. Deren Größe ist also gewaltig und die Dachkonstruktion beeindruckend. Der Saal ist fast leer, aber es gibt dennoch viel zu sehen.
Die Piazza dei Signori N 45.407689 E 11.873496 ist sehenswert. Wir haben einige Zeit damit verbracht, die astronomische Uhr des Arco dell'Orologio zu entschlüsseln, es ist uns aber nicht gelungen.
Bis auf die Seite des Westportals ist der Dom N 45.406691 E 11.871897 großenteils eng umbaut. Auf den Außenmauern finden sich einige Inschriften mit interessanten geschichtlichen Verweisen.
Mit der modernen Ausstattung des Altarraums können wir nicht viel anfangen.
Den Dom fanden wir in der Außenansicht dekorativer als innen.
Wichtig ist die Basilika des heiligen Anton 45.401347620763296, 11.880139462944177. Der Bau fällt durch seine flächendeckende Ausstattung mit Kuppeln auf.
Eine Kuriosität ist, daß die Basilika exterritorial ist und zum Vatikan gehört, weshalb auch die gelb-weiße Fahne an ihrem Portal weht.
Der heilige Anton predigte in Padua den Fischen, weil die Leute ihm nicht zuhören wollten. Die Basilika ist seine Hauptkirche und beherbergt die meisten seiner Reliquien. Weil er so schön reden konnte, stellt man seine Zunge und seinen Unterkiefer in separaten Reliquiaren aus, alles sehr appetitlich.
Die Basilika ist Wallfahrtskirche, das Gedränge entsprechend groß, dafür ist über den Baukörper hinaus die Innenausstattung sehr reichlich.
Der Altar stammt von Donatello. Die Figurengruppe ist zwar komplett, ihre ursprüngliche Anordnung aber nicht mehr bekannt und auch für Kunsthistoriker nicht mehr rekonstruierbar. Wir finden das erstaunlich, da wir dachten, die christliche Ikonographie ließe nicht allzu viel Spielraum.
Während wir auf unseren Einlaßtermin für die Cappella degli Scrovegni warteten, hatten wir noch Zeit für die nahegelegene Chiesa degli Eremitani 45.41067980233994, 11.879190473161009.
Hier brachte man immerhin den Mut auf, auf die Zerstörungen durch die angelsächsischen Freunde hinzuweisen.
Die Eintrittskarten für die Cappella degli Scrovegni 45.41188677015422, 11.879579393463013 sind sehr limitiert. Die Kapelle ist eng und aus konservatorischen Gründen werden nur abgezählte kleine Gruppen eingelassen. Man bekommt die Karten im Internet, muß aber schon lange vorher buchen. Dafür war unser Entschluß für Padua zu spontan gewesen, und wir kamen nur noch an Eintrittskarten in Verbindung mit einer dreistündigen privaten Führung auf Deutsch durch die Kapelle und weitere Sehenswürdigkeiten Paduas nach unserer Wahl, was natürlich nicht ganz billig war.
Giotto arbeitete in Padua Anfang des 14. Jahrhunderts, in seinen mittleren Lebensjahren, und schuf in der Cappella degli Scrovegni eines seiner Hauptwerke. Der Bankier Enrico Scrovegni baute sich in Padua einen Palast und diese winzige Kapelle, die 1305 fertiggestellt wurde, mußte aber nach Auseinandersetzungen mit seinem Klienten und Schutzherren schon 1320 nach Venedig emigrieren, wo er seine Geschäfte fortführte.
Mit dem 19. Jahrhundert begannen die Restaurierungsarbeiten an der Kapelle in Etappen und nach unterschiedlichen Paradigmen. Die Weiterentwicklung der Restaurierungsprinzipien kann man ein wenig verfolgen, wenn man Bildbände von der Cappella aus verschiedenen Zeiträumen des 20. Jahrhunderts vergleicht. Wir haben mehrere dieser Bildbände antiquarisch gefunden, zwei davon sind unter Bücher → Reise abgelegt.
Vor Betreten der Kapelle hält man sich erst einmal eine Viertelstunde in einem klimatisierten Vorraum auf, wird doch temperiert und entfeuchtet, und hat dann eine weitere Viertelstunde Zeit für die Kapelle, wo es trotz der kleinen Gruppen eng zugeht. Man sieht bei weitem nicht genug, es ist noch weniger befriedigend als das, was wir in Ravenna erlebt haben.
Andererseits sind besonders die Szenen oben an den hohen Wänden nicht so gut zu sehen. Die Bildbände sind also wichtig, besser ist sogar, man kennt sie bevor man die Kapelle betritt. Es ist aber schön, einmal darin gestanden zu haben.
Wir haben Giotto als Propheten oder Vordenker der Renaissance verstanden, zweihundert Jahre vor Leonardo und Michelangelo. Er sieht das Sujet schon mit deren Augen, wir sehen Individuen abgebildet, aber sein Malstil wirkt flach und plakativ, wie ein Comic des 14. Jahrhunderts. Wir wissen nicht, ob das eine Folge der zahlreichen Restaurierungen ist. Vermutlich gibt es überhaupt keine Möglichkeit mehr festzustellen, wie das Werk ursprünglich gewirkt hat.
Aber dennoch ist die Darstellung des Lebens Jesu und seiner Vorgeschichte berückend.